Fado
Thema: Eine kurze Geschichte mit
einer Stadt Deiner Wahl als Protagonist
Raus aus dem Flughafengebäude, ich stemme mich gegen eine Wand aus Mittagshitze. Die Helligkeit schmerzt für ein paar Sekunden in meinen Augen, bevor sich meine Pupillen auf die südeuropäische Sonne eingestellt haben.
Zu den Taxiständen, auf die Schnellstraße, Kreisverkehre, Autohupen, doch dann zeigt sich die Metropole mit ihren hohen, modernen Häusern, zwischen denen sich Palmen ihre Plätze erobert haben. Abwärts führt die Straße zu einem gigantischen Kreisverkehr mit einem großen Reiterstandbild im Zentrum. Riesige Hotels, ein großer Park und weiter geht’s in eine von Bäumen gesäumte, ja fast überdachte, breite Allee. Meine Augen versuchen gierig jedes Detail zu erhaschen, Designerläden, Kinos, Theater, aber ohne Erfolg. Abbiegen, gleich noch einmal, das Taxi hält vor Hotel.
Ich lasse mich rückwärts auf mein Bett fallen. Mein Blick mustert müde die Stuckarbeiten an der Zimmerdecke. Aber der Straßenlärm dringt durch das halb geöffnete Fenster an mein Ohr: Autos, Menschen die lachend am Hotel vorbeigehen, Vogelgesang, Fluglärm. Doch das Geräuschewirrwarr form sich zu einer Stimme, einer Stimme die mich ruft, hinaus aus meinem Versteck und hinein ins Stadtleben.
Eine Dusche und einem Snack an der Hotelbar später, trete ich wieder hinaus ins gleißende Sonnenlicht. Wow, ich bin in Lissabon, Europas schönstem Ende, wie man sagt.
Ich folge meinem Mini-Cityguide, den ich an der Rezeption bekommen habe, und bald schon bin ich wieder auf der „Avenida da Liberdade“, die ich zuvor im Taxi entlanggefahren bin. Nur jetzt habe ich Zeit mir alles genau anzusehen. Die Läden, die kunstvoll gemusterten Gehwege, die imposante Architektur. Schön ist es hier. Mein Herz schlägt unweigerlich schneller.
Über den Platz „Restauradores“ geht es weiter zum „Rossio“, dem Herz der Stadt. Ich laufe über den wellenförmig gemusterten Platz mit seinen vielen Restaurants an seinen Ufern, atme tief ein und zum ersten Mal spüre ich die Energie dieser Stadt, die mir eine wohltuende Gänsehaut zaubert.
Aber es gibt noch so viel mehr zu sehen. Ich schaue in meinen Cityguide: Dann mal los. Es ist erst früher Nachmittag und ich will meine Zeit hier nutzen. Rua Augusta, Praça do Comércio. Ich folge den Touristenströmen. U-Bahn zum Baixa-Chiado, weiter zum Cais do Sodré und eine kurze Zugfahrt später bin ich in Belém. Eine riesige Schlange wartet vor dem Mosteiro dos Jerónimos, ungeachtet der sengenden Sonne. Torre de Belém, mit dem überfüllten Bus zurück ins Zentrum, Pastel de Nata, anstehen an der Linie 28 der wunderschönen, alten „Eléctrico“. Ich bin müde. Mein Handy hat vor lauter Fotos scheinbar einen Akku-Infarkt erlitten. Eine Touristengruppe vor mir wird ungeduldig und schimpft scheinbar auf die Behörden. Hinter mir drängeln die Leute vorwärts, obwohl es gar nicht weitergeht. Ich habe Hunger und Durst und langsam wird es auch schon dunkel.
Schluss damit. Ein paar Häuserecken weiter komme ich an einer Pastelaria vorbei, die irgendwie nett aussieht. Ich gehe hinein. Ein paar kleine Tische, eine Kühltheke mit Leckereien, ein im Eck aufgehängter Fernseher, auf dem Fußball läuft. Ich kaufe mir ein paar Snacks, dazu ein kleines Bier, setze mich an einen der Tische und schaue mir das Spiel an, auch wenn ich die Teams gar nicht kenne.
Die anderen Gäste sind sehr freundlich. Schon ein paar Minuten später fachsimpeln sie mit mir in Englisch über vergebene Torchancen und Spieltaktiken. Es macht Spaß.
Als ich wieder hinaustrete ist es bereits komplett dunkel. Ich laufe zurück zum Praça do Comércio. Das Mondlicht spiegelt sich im gemusterten Kopfsteinpflaster der Gehwege, lässt die über Jahre hinweg glatt gelaufenen Steine fast nass erscheinen.
Aber die Touristenströme sind nahezu verschwunden. Ein paar Straßenmusiker spielen, mehr aus Freude als für das Geld, am Straßenrand. Ich kann spüren, wie die Stadt durchatmet, als hätte man ihr eine Last von den Schultern genommen.
Ich laufe einfach drauf los, hinunter zum Fluss, auf dem gerade ein Kreuzfahrtschiff seinen Weg bahnt, unter der riesigen Brücke des 25. April hindurch und hinaus auf den Atlantik. Ich schlendere weiter, ohne Druck, ohne Ziel.
Von einer Straße aus, nehme ich eine der vielen Treppen hier in der Stadt, doch auf halber Höhe dringt leise Gitarrenmusik an mein Ohr. Sie ist melancholisch und freundlich zugleich. Sie kommt aus einer kleinen Bar mit einer winzigen Eingangstür. Als ich vor ihr stehenbleibe und einen vorsichtigen Blick hindurch werfe, bemerkt mich einer der Kellner und winkt mich herein.
Warum nicht? Ich setze mich an einen der keinen Tische und lausche der Musik der zwei Gitarristen. Es ist ein sehr kleiner Raum, aber er ist auch sehr gemütlich und scheinbar verirren sich nur wenige Touristen hierher, denn die meisten Leute hier sprechen Portugiesisch. Das Licht ist gedämpft und es riecht nach gegrilltem Fleisch und Fisch.
Der Keller bringt eine Karte, aber ich wähle das erstbeste Fischgericht und den Wein des Hauses. Die Musik lässt die Welt um mich herum den Fokus verlieren. Die Sehnsucht im Klang der Instrumente jagt mir einen leichten Schauer durch den Körper.
Der Kellner bringt mein Essen und den Wein, geht weiter zur Eingangstür und verschließt diese. Plötzlich verstummen die Gespräche der anderen Gäste. Die Fado-Sängerin kommt herein, stellt sich zu ihren beiden Musikerkollegen und beginnt mit ihrer Darbietung.
Die Musik ist der Fado, der Ausdruck eines Lebensgefühls, das die Portugiesen „Saudade“ nennen, ein Wort, dass man nicht wirklich in eine andere Sprache übersetzen kann. Es ist die Sehnsucht nach einem geliebten Menschen, nach etwas oder jemanden, den man vermisst. Aber es ist eine schöne, positive Sehnsucht. Sie fesselt mich und ich kann sie fühlen, tief in mir. Lissabon lässt mich in seine innerste Seele blicken.
Niemand spricht, kein Kellner geht durchs Restaurant. Einzig die Musik ist da und erfüllt den Raum mit purem Gefühl.
Nach ein paar wenigen Liedern verlässt die Sängerin den Raum und die beiden Gitarristen spielen wieder im Duett. Die Tür wird geöffnet und auch die Gespräche der Gäste sind mehr und mehr zu hören.
Als ich später am Abend wieder auf dem Weg zu meinem Hotel bin, bleibe ich noch einmal am Flussufer stehen und lasse meinen Blick über die dunkle Wasseroberfläche gleiten. Schon morgen beginnt der Kongress, für den ich eigentlich hergekommen bin. Die Arbeit ruft und ich werde keine Zeit mehr haben, um das alles hier wirklich zu genießen. Und bald schon werde ich wieder im Flieger nach Hause sitzen und bereits dort anfangen, meinen Bericht über das Gehörte und Gesagte schreiben, über neue Geschäftsfelder und Marktstrategien und Vertriebskonzepte und Möglichkeiten zur Kostenreduzierung.
Aber wenn mich jemand fragt, wie ich’s wirklich fand in Lissabon, kann ich nur sagen „Saudade“.