Neulich im Käseladen
Thema: Eine kurze Geschichte,
in der Käse im Mittelpunkt steht
„Auf Wiedersehen Frau Meier“, rief Helga ihrer Kundin hinterher, als diese, begleitet vom Klingeln der elektronischen Türglocke, den Laden verließ. Helga räumte noch schnell das große Stück Gouda zurück in die Kühlvitrine hinter ihr, doch dann zuckte sie vor Schreck zusammen.
„Guten Tag, ich hätte gern 200 Gramm Cheddar“, rief eine Stimme, obwohl niemand den Laden betreten haben konnte, denn die Türklingel war stumm geblieben.
Helga drehte sich um und traute ihren Augen nicht: Auf der Verkaufstheke saßen zwei kleine, graue Mäuse und sahen Helga mit erwartungsvollen Augen an. Helga suchte nach Worten, fand aber keine.
„Sprechen Sie Deutsch?“, fragte eine der Mäuse zögerlich.
„Ja“, stammelte Helga, „aber die Frage ist doch: Warum sprecht ihr Deutsch?“
„Nun ja, Mäuse sind, wie Sie vermutlich schon gehört haben, sehr schlaue Tiere und können ein gewissen Bildungsniveau vorweisen“, sagte die Maus, „aber nun zurück zum Käse: Hätten Sie noch 200 Gramm Cheddar? Wissen Sie, unser Dealer …“ In diesem Moment traf ihn der Schwanz der anderen Maus mit Schwung am Hinterkopf, die dann auch das Gespräch gekonnt übernahm.
„Was mein Freund Harald hier versucht zu sagen ist: Unser Zwischenhändler hat Probleme mit seinem Vorlieferanten und hat daher derzeit keinen Cheddar im Angebot. Mein Name ist übrigens Tom.“
„Na wie passend“, sagte Helga, „und wie wollt ihr den Käse bezahlen?“
„Na mit Mäusen!“, antwortete Tom, „wir hören euch Mensch immer sagen: ‚Das kostet 100 Mäuse oder 200 Mäuse.‘ Ich gehe also davon aus, dass wir Ihnen hier ein wenig zur Hand gehen können, vielleicht die Theke putzen, die hätte es nämlich nötig.“
Helga stemmte die Hände in die Hüfte. „Wie bitte?“
Aber Tom fuhr unbeirrt fort: „Vom unserer Bezahlung würden wir dann gern den Käse kaufen. Was zahlen Sie hier pro Stunde?“
„Aber … aber … Hier kann man nur mit Euro bezahlen.“
„Euro?“, fragte Harald spöttisch, „was soll das denn sein? Dann nehmen wir den Cheddar eben so mit. Los geht’s Tom!“
Helga zückte ihr Handy. „Und ich brauche nur ein paar Sekunden, um den Kammerjäger zu rufen.“ Ihre Stimme klang laut und eindringlich. „Ich würde also sagen wir bleiben jetzt alle mal ganz ruhig. Woher weiß ich überhaupt, dass dies hier kein Ablenkungsmanöver ist, damit eure Kumpels in Ruhe das Lager hinten ausräumen?“
„Wie bitte?“, fragte Tom entrüstet nach, „sehen Sie uns an: Wir sind nur zwei kleine, hungrige Mäuschen, die auf ganz regulärem Wege ein Stück Käse erwerben möchten. Weshalb wird uns grundsätzlich mit Argwohn begegnet?“
„Na schön“, lenkte Helga ein, „ich finde euch Mäuschen ja ganz putzig. Und weil ihr beiden so nett gefragt habt, schenke ich euch ein kleines Stück. Es sind zwar keine 200 Gramm mehr und es ist auch nur noch ein paar Tage haltbar, aber es ist echter Cheddar. Ich kann das sowieso nicht mehr verkaufen.“ Sie nahm das Stück aus der Auslage und legte es von Tom und Harald auf den Tresen.
„Haben Sie vielen Dank“, sagte Harald, „Sie sind ein guter Mensch!“
„Danke. Und jetzt schnell raus hier, bevor ein Kunde kommt und die Hygienekontrolle holt.“ Helga schüttelte grinsend den Kopf, während die beiden Mäuschen das Stück Käse vom Tresen auf den weißen Fliesenboden warfen, hinunterkletterten und gemeinsam ihren Cheddar zur Tür hinaustrugen.
Helga desinfizierte den Tresen und schmunzelte in sich hinein. Doch dann überkam sie ein unerklärliches, mulmiges Gefühl. Also ging sie nach hinten ins Lager und öffnete die Tür zum Kühlraum. Er war leer.