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Rat mal, wer zum Spielen kommt
Thema:  Eine kurze Geschichte,
die in einem Kaufhaus spielt

„Felix, du musst unbedingt mitkommen. Ich habe was tolles entdeckt!“, rief Mia schon von Weitem und sprang mit einem Satz auf die Holzkiste, auf der Felix sich ausgestreckt hatte.

„He? Mia, bist du das? Du hast mich total erschreckt. Du weißt doch, dass man schlafende Katzen nicht wecken soll. Mir fallen noch sämtliche Haare aus. Und das wäre ein Jammer. Du weißt: Ich habe einen echten Stammbaum.“

„Erstens waren das Hunde, die man nicht wecken soll, und den einzigen Stammbaum, den du hast, ist der, hintern dem du dein Geschäft verrichtest, wenn die Natur ruft. Du bist eine normale Hauskatze, wie ich auch. Außerdem sind Stammbäume wo wichtig wie Ohrmilben. Und nun steh schon auf, du lahmer Kater, ich muss dir was zeigen.“

„Katzen soll man genauso wenig wecken.“ Felix stemmte seinen müden Körper langsam nach oben und steckte genussvoll seine Hinterbeine nacheinander aus.

„Alle Gelenke wieder am richtigen Platz? Dann los!“ Mia sprang von der Holzkiste herunter und rannte los. Felix folgte ihr. Über den Innenhof des stillgelegten Schlossereibetriebs, Metalltreppe hinauf, Mauervorsprung, über das Dach, auf der anderen Seite beherzt hinunterspringen, um ein paar Häuserecken zu den Müllcontainern, raufspringen, durch die Spalte neben der Klimaanlage hindurchgezwängt: Vor Felix und Mia erstreckte sich ein riesiger Spielplatz für Katzen, wie in ihren kühnsten Träumen.

„Wow! Was ist das denn?“, staunte Felix, „der reinste Katzenhimmel!“

„Ja, ich frage mich auch, was das genau ist“, antwortete Mia, „Ich habe beobachtet, dass hier tagsüber die Menschen spielen. Sie nehmen das ganze Spielzeug, registrieren es da an diesen komischen Schaltern und nehmen es dann mit. Und andere Menschen füllen dann die Regale wieder mit neuem Spielzeug. Menschen sind komisch.“

„Warte mal, meine Ex, die unten am Hafen lebt, Luna, hat mir Lesen beigebracht, zumindest ein wenig.“

„Luna? Ach ja, die rothaarige mit dem buschigen Schwanz und den extra langen Barthaaren. Und die kann lesen?“

„Ja, warte mal.“ Felix sah sich um. „Es ist zwar nur diese seltsame Schummerbeleuchtung an, aber ich glaube, das da vorn heißt ‚Kaufhaus‘ und das da über den Registrierschaltern heißt ‚Kasse‘.“

„Wow, ich bin beeindruckt!“, sagte Mia, „für mich ist das ein Katzenspielplatz. Und jetzt komm schon.“ Mia sprang hinunter auf einen Kleiderständer, der jedoch instabiler war, als er aussah. Mit Mühe klammerte sie sich an die obere Stange und konnte sich irgendwie halten. Aber Gott sei Dank kippte der Ständer um und Mia landete weich auf den Mänteln, die zuvor daran aufgehängt waren.

„Das war knapp“, kommentierte Felix, „ich versuch‘s da vorn an diesem komischen, künstlichen Menschen mit Klamotten an.“ Er sprang auf die Schultern der Schaufensterpuppe, die daraufhin nach vorn kippte und beim Aufschlag auf den Boden, einen Arm und den Kopf verlor. „Geschafft! Aber die Klamotten hier sind superweich. Die wären was, um darauf zu schlafen. Warte ich markiere sie nur kurz, dann sind sie meine.“

„Du musst deinen Dreck wirklich überall lassen, oder?“ Mia rümpfte die Nase, „aber sieh mal hier oben: Die Tasche ist aus echtem Leder, glaube ich. Daran kann man bestimmt super die Krallen schärfen. Ich probier’s gleich mal.“

„Fertig. Die Klamotten von hier bis da vorn zur Wand gehören jetzt mir allein.“ Felix sah sich um und schon einen Augenblick später, wurden seine Augen größer und größer. „Da vorn ist Papier, viel Papier!“ Er rannte los, über die Stapel mit Pullovern hinweg, in deren Wolle er sich mit den Krallen verhakte und große Schlaufen zog, so dass er das Gleichgewicht verlor und es ihn beim nächsten Sprung erneut gegen eine Schaufensterpuppe schleuderte, die sich ebenfalls auf dem Boden in ihre Bestandteile auflöste. Aber Felix rannte weiter. Doch als er beim besagten Papier ankam, war Mia bereits zur Stelle. „Sieh mal Felix. Die haben das Papier bedruckt und dann immer zu solchen kleinen Stapeln verklebt. Was soll das denn?“

„Ich glaube das nennt man Buch. Aber warte hier steht etwas: ‚Kriminalroman‘“ Felix sah Mia verwundert an. „Was ist bitte ein Kriminalroman?“

„Egal. Es ist Papier.“ Mia spitzte die Krallen und tatsächlich: die einzelnen Seiten ließen sich perfekt abreißen, mit den Pfoten irgendwie zerknüllen und dann durch die Gegend schleudern. „Ja, das ist ein Katzenspaß!“
Felix und Mia tobten über die Aufsteller mit den Bestsellern, Kochbüchern und Kinderliteratur und im Handumdrehen füllte sich der Boden ringsherum mit den zerknüllten und zerfetzten Überresten einst hochwertiger Literatur. Doch plötzlich schrie Mia auf: „Da vorn ist eine Maus!“

Felix sah auf. Und tatsächlich: Nur einen Katzensprung entfernt, in den in Reih und Glied aufgestellten, edlen Weingläsern der Küchenabteilung, spiegelte sich ein felliges Etwas, das durch die Regale zu flitzen schien. Eine Maus? Hier auf dem Katzenspielplatz? Das ging nun wirklich nicht! Zum Glück waren die beiden professionellen Mäusejäger sofort zu Stelle. Ein beherzter Sprung ins oberste Regalfach: Felix räumte die lästigen Gläser einfach mit der Vorderpfote heraus und warf dieses, seiner Meinung nach, vollkommen unnütze Geschirr auf den Boden. Jetzt war sich zumindest sicher, dass sich die Maus nicht dahinter versteckt hatte. Mia verfuhr in ähnlicher Weise mit den Tellern und Tassen im gegenüberliegenden Regal. Sie mochte das blaue Zwiebelmuster auf dem Geschirr sowieso nicht.

„Also Felix, ich glaube, die Maus war gar keine. Wir haben jetzt fast alle Regalböden freigeräumt. Sie kann sich hier nicht mehr verstecken. Ich glaube, dass das, was ich gesehen habe, nur ein Reflex meiner eigenen, weißen Schwanzspitze war.“

„Ja, so wird es sein. Aber sieh mal da, Mia, die komischen roten Dinger, die da überall an der Wand hängen. Was ist das wohl für ein Spielzeug?“

„Keine Ahnung, sehen wir nach.“

Felix und Mia schlichen sich respektvoll an eines der großen Objekte heran, das aussah wie eine übergroße Metallflasche. 

„Da steht was geschrieben“, sagte Mia, „kannst du das lesen?“

„Ich glaube da steht ‚Feuerlöscher‘“

„Oh, Feuer ist gefährlich und wenn die Teile hier Feuer löschen können, sollten wir sie sicherheitshalber schon benutzen, damit gar nicht erst Feuer ausbricht. Sonst wird noch der ganze Spielplatz hier zerstört.“

„Stimmt. Und da ist ein Bild, wie man das machen soll. Dieser Stift da muss raus, das mache ich, und dann nur den Hebel da drücken, das machst du.“

„Na dann los!“, und schon Sekunden später legte sich ein wunderschöner, weißer Schaumteppich über den sonst abgelaufenen und fleckigen Linoleumboden.

„Das hat ja super geklappt“, sagte Felix, „dann lösen wir die anderen auch gleich noch aus, okay?“

„Okay!“

Mehr und mehr wuchs der Schaumteppich und verlieh dem Katzenspielplatz die perfekte Wohlfühlatmosphäre.

„Vorsicht!“, rief Felix plötzlich, „da kommt jemand!“ Und tatsächlich. Zwei Damen schlossen eine Tür auf, die sich nur ein paar Meter von Mia und Felix entfernt befand. Als die beiden Frauen hereinkamen, begrüßte sie Felix mit einem netten: „Miau“ und setzte sich direkt vor ihnen auf den Boden. Mia tat es ihm gleich.

„Sieh mal, Tanja, was für niedliche kleine Kätzchen! Wie sind die wohl hier reingekommen?“

„Ja, Verena, die sind wirklich allerliebst. Meinst du wir finden etwas Futter für sie und vielleicht etwas Spielzeug?“ Tanja schaltete das Deckenlicht ein.

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