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Das Runde oder das Eckige
Thema:  Eine kurze Geschichte über
etwas Würfelförmiges

Es war ein schöner Tag, dieser Ostersonntag und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Die Mittagssonne brannte vom strahlend blauen Himmel herunter und sandte eine wohltunende Wärme hinab in Tal und auch auf Bauer Ferdinands Hof und die Hühnerställe, gleich neben dem Wohnhaus.

Berta und Kerstin saßen, wie immer um diese Zeit und bei schönem Wetter, auf dem kleinen Zaun, gleich vor den Stallungen und genossen die leichten Brisen, die ihnen von Zeit zu Zeit durch das Gefieder strichen. Doch dann brach Berta plötzlich das entspannte Schweigen: „Sag mal, Kerstin, hast du eine Ahnung, warum Vera nicht hier ist? Bei der Sonne sollte kein Huhn im Stall bleiben. Und ja, ich weiß, dass sie an ihrem Gelege bastelt. Sie macht ja schon seit Wochen ein riesiges Geheimnis daraus.“

„Alles, was ich weiß, ist, dass es eine neue Erfindung ist und die Hühnerwelt revolutioniert werden soll. Die hat wahrscheinlich irgendwelche schlechten Körner gefressen oder zu lange mit ihren Truthahn-Kumpels abgehangen. Aber hey, sieh mal: Da kommt sie ja.“

Vera kam mit erhobenem Schnabel aus dem Stall und ging direkt auf Berta und Kerstin zu. „Hallo zusammen, ich habe es geschafft.“

„Was geschafft?“, fragte Berta misstrauisch.

„Kommt mit, ich zeige es euch“, und während Vera wieder zurück in Richtung Stall lief, sahen sich Berta und Kerstin kurz an, flatterten dann aber vom Zaun herunter und folgten Vera.

„Was ist das denn?“, schrie Berta auf, als sie den Stall betrat.

„Das ist das neue, quadratische Nest, platzoptimiert und formschön.“, flötete Vera.

„Und was ist das da drin?“, fragte Kerstin nach.

„Das, meine lieben Hennen, ist das neue, dazu passende, würfelförmige Ei!“

Berta und Kerstin standen mit offenen Schnäbeln da und brachten kein Wort heraus.

„Was ist? Was sagt Ihr?“, fragte Vera nach.

„Wie hast du das hinbekommen?“, stammelte Berta.

„Training, meine Damen, Training! Aber seht es mal so: quadratisches Gelege mit quadratischen Eiern, geometrisch und thermisch optimiert. Das ist die Revolution im Hühnerstall, ach was sage ich: in der gesamten Vogelwelt!“

Nach einer knappen Minute des erstaunten Schweigens, meldete sich endlich Kerstin mit gesenkter Stimme zu Wort: „Na ja, zumindest hat es abgerundete Ecken und Kanten, sonst könnte ich mir vorstellen, dass …“

„Stopp!“, intervenierte Berta, „so genau wollen wir das gar nicht wissen.“

„Malen wir doch ein paar Punkte drauf“, schlug Kerstin vor, „du rufst die anderen und dann eröffnen wir das erste Hühnercasino und von mir aus können auch die Truthähne kommen.“

„Casino?“, schrie Vera auf, „ihr habt ja nicht alle Federn gerade, ihr Banausen!“

Aber Berta und Kerstin drehten sich um und stolzierten aus dem Stall. „Quadratische Eier in quadratischen Gelegen“, gackerte Kerstin, „demnächst sollen wir noch in dreieckigen Haufen …“

„STOPP!“

 

Und dann war es so weit: Vera saß auf dem Rand ihres quadratischen Nests und beobachtete, wie sich die ersten Risse im weißen, würfelförmigen Ei bildeten. „Ich werde dich Würfgang nennen, oder Würfelia. Ich bin so gespannt.“

Und als Würfgang nach dem anstrengenden Schlüpfen wieder bei Kräften war, stand er auf, ging zum Nestrand und sah sich um: Von der Hühnerleiter, über Veras strahlendes Gesicht hinüber zum Futtertrog neben dem Eingang. Doch dann blieb sein Blick am Strohballen hängen, der noch in zum Würfel gepresster Form und ordentlich gebunden in der Ecke lag. Würfgang holte tief Luft und schrie: „MAMA!“

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